Vor 100 Jahren war es so weit: Frauen erhielten in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht. „Ziel erreicht?“ fragte die SPD-Landtagsabgeordnete Helga Schmitt-Bussinger jetzt beim Neujahrsempfang der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) für Schwabacher Bürgerinnen provokant. Und gab eine Antwort, die mehr auffordert als zufriedenstellt.
SCHWABACH – Der Neujahrsempfang für Schwabacher Bürgerinnen ist seit seiner Einführung der einzige für Frauen. Bei dem zuvor einzigen Empfang des Gewerbevereins dominierten damals die dunklen Anzüge der Herren, erinnert sich Helga Schmitt-Bussinger an die 80-er Jahre, als sie – als weibliches Stadtratsmitglied – dann „mitdurfte“. Beim Empfang der AsF sind dagegen die Frauen in der deutlichen Mehrzahl. Und nutzen ihn gern und vielfach zum Kennenlernen, Netzwerken, Zuhören.
Auch beim 23. Empfang zum Jahresauftakt war der Saal des Bürgerhauses wieder gut besetzt, und das Zuhören wurde reich belohnt, als Lucas Linner, Lara Schneider und Felix Harren musikalisch mit betörenden Kunstliedern und diffizilen Kompositionen für Klarinette und Klavier auf einen genussvollen Nachmittag einstimmten. Die stellvertretende AsF-Vorsitzende Magdalena Reiß begrüßte die Gäste mit der Forderung nach echter Gleichberechtigung und Gleichstellung: „Bis dahin ist es aber“, so listete sie angesichts geringerer Bezahlung, geringerer Rente und des größeren Risikos von Altersarmut für Frauen auf, „noch ein weiter Weg“.
Einen steinigen Weg waren die Frauen bis zum Gesetz für ihr Wahlrecht ja schon gegangen: Ein erster Gesetzentwurf der SPD-Reichstagsfraktion 1895 war gescheitert, blickte Helga Schmitt-Bussinger zurück. Erst 1905 wurde den Frauen erlaubt, überhaupt an politischen Diskussionen in Versammlungen teilzunehmen. Und selbst die Forderung von 45000 Frauen beim ersten Internationalen Frauentag in Berlin: „Her mit dem Frauenwahlrecht!“ brachte noch nicht den Durchbruch. Bis 1918 dauerte es noch, das Gesetz besagt in Artikel 109 schlicht (und heute selbstverständlich): „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Nach Nazidiktatur mit Mutterkult mussten die Rechte erst wieder mühsam errungen werden, erinnerte Schmitt-Bussinger an die SPD-Politikerin Elisabeth Selbert, die im Parlamentarischen Rat als eine von vier Frauen (unter 61 Männern) vehement dafür kämpfte, dass im Grundgesetz der Satz steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Das Ergebnis? Als die SPD-Parlamentarierin Lenelotte von Bothmer 1970 im Bundestag erstmals im Hosenanzug ans Rednerpodium trat, „hielt das Parlament den Atem an“, erinnerte Schmitt-Bussinger. Und bis in die 80-er Jahre saß auch nur auf jedem zehnten Abgeordnetenstuhl eine Frau, erst dann bewirkten Frauenquoten bei SPD und Grünen einen Sprung nach vorn. Heute sind 31 Prozent der Bundestagsabgeordneten Frauen – vor dem Einzug der AfD waren es schon mal mehr, nämlich 36 Prozent. Frauen waren noch nie so erfolgreich wie heute, hielt sie aber auch fest. Bei den Abschlüssen haben sie oft die Nase vor den Jungs, sie profitieren von Frauenquoten, Mindestlohn und paritätischer Familienarbeit. Aber die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt sei immer noch Fakt: mit schlechter bezahlter Arbeit und mit weniger Lohn für gleiche Arbeit. Dass Frauen im Schnitt um 50 Prozent weniger Rente bekommen als Männer, „das müssen wir zum Thema machen“, fordert Schmitt-Bussinger. Aber auch Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, den Anspruch auf einen Ganztagskitaplatz – mit flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Gleichzeitig sei „Zeit für Familie“ wichtig, so dass Mama oder Papa um 17 Uhr heimfahren und ihr Kind abholen können“, will die SPD-Politikerin erreichen und nennt Frankreich oder Schweden als Länder, wo es selbstverständlich ist, „dass die wichtige Vorstandssitzung eben nicht erst abends stattfindet“. Ihr Fazit: Der Einsatz für gleichberechtigte Teilhabe sei noch lange nicht zu Ende, und damit er weitergehen könne, forderte sie die Frauen im Publikum auf: „Gehen Sie in die Politik – ob im Rock oder in Hosen!“ Denn: „Wenn wir eine menschliche Gesellschaft haben wollen, müssen wir die männliche überwinden.“
„Politik ist zu wichtig, als dass wir sie allein den Männern überlassen können“, ergänzte Claudia Arabackyj – sie unterschreibe uneingeschränkt die Forderungen ihrer Vorrednerin – und vielleicht Vorgängerin? Denn die 45jährige Nürnberger Stadträtin Arabackyj ist von der SPD nominiert worden als Landtags-Direktkandidatin für Schwabach und Nürnberg-Süd. In Schwabach ist die Kandidatin bereits viel unterwegs, bei den Schwabanesen sei sie sogar schon als Abgeordnete begrüßt worden, schmunzelte die frühere Falken-Landesvorsitzende. Ob sie sich damit den Wahlkampf sparen kann? Auf jeden Fall trage sie, wie sie augenzwinkernd zeigte und betonte, zumindest heute Hosen.
CAROLA SCHERBEL